Frage: „Muss man sich (immer) an das Phasenmodell halten?“

„Manchmal finde ich es anstrengend oder sogar stressig, mich in der Mediation an das Phasenmodell zu halten. Muss man sich immer daran halten?“

Bevor ich darauf antworte, hier eine kleine Geschichte:

Über die Kunst des Loslassens zur rechten Zeit

Karl Wallenda war der Patriarch der „Fliegenden Wallendas“, einer der bemerkenswertesten Hochseilartisten in der Zirkusgeschichte. Der Höhepunkt ihrer Vorstellung war eine dreistöckige Sieben-Personen-Pyramide, in der sich die Truppe auf Seilen hoch über der Manege die Gesamtlänge des Zirkuszelts entlangbewegte. Da sie wie immer ohne Netz arbeiteten, war diese Nummer wirklich todesmutig. …
1978, im Alter von 73 Jahren war Karl die Attraktion eines Karnevals in San Juan in Puerto Rico. Dort sollte er neunzig Meter über ein Seil in Höhe des zehnten Stockwerks gehen. Anfangs ging er sicher, in den Händen die fast fünf Meter lange Balancierstange, mit der Hochseiltänzer das Gleichgewicht halten. Als er das Seil etwa zur Hälfte überquert hatte, packte ihn ein plötzlicher Windstoß. Er fiel nach vorne und versuchte das Hilfsseil zu fassen, das zu dem Seil, auf dem er stand parallel verlief, aber er konnte keinen festen Halt daran finden. Er konnte nicht richtig zupacken, weil er noch die Balancierstange in der Hand hatte. Diese Stange, die ihm so oft das Leben gerettet hatte, kostete ihn jetzt das Leben. Er stürzte auf die Straße und verletzte sich tödlich – und während des ganzen entsetzlichen Sturzes in die Tiefe umklammerte er immer noch die Stange.

Nun zu der Frage:

Ich erlebe das Phasenmodell in der Mediation als äußerst hilfreich. Es gibt Struktur und Orientierung – sowohl den Konfliktparteien, als auch den MediatorInnen. Es ist ein Hilfsmittel – ein „Mittel zum Zweck“. Der „Zweck“, d.h. das Ziel der Mediation, ist es, zu einer praktikablen Lösung zu kommen, die die wesentlichen Bedürfnisse aller Konfliktparteien befriedigt und die diese gewillt sind, umzusetzen. Und wenn dieses „Hilfsmittel“ seinen Zweck nicht (mehr) erfüllt, ist es gut, es los zu lassen – so wie die Balancierstange …

ABER – ich möchte unsere Trainees und andere, die sich in der Mediation üben wollen, ermuntern, das Hilfsmittel nicht zu früh loszulassen. Manche Unsicherheit oder Angestrengtheit kommt nicht daher, dass es nicht das richtige Instrument ist, sondern, dass es uns noch fremd ist und wir in der Handhabung noch nicht geübt genug sind.

Die spontane und intuitive Wahl von Methoden, Interventionen und „Hilfsmitteln“ wird dann zur Kunst, wenn wir die Instrumente als solche gut und sicher handhaben können. Solange dies nicht der Fall ist, geht es – auch – darum, Situationen zu nutzen, um den Einsatz und die Handhabung dieser Methoden zu trainieren.

Wie sehen das andere? Ich bin gespannt auf eure Kommentare …

Download der Wallenda-Geschichte (pdf)

1 Kommentare zu “Frage: „Muss man sich (immer) an das Phasenmodell halten?“

  1. Frauke

    Hallo!
    Erstmal danke für die Geschichte. Die finde ich in diesem Zusammenhang sehr plastisch.
    Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen, dass ich mich im Anfang auch mit dem Phasenmodell sehr schwer getan habe. Ich bin kein sehr strukturierter Mensch und mich an diese Schritte zu halten hat mich ziemlich gestresst und auch gebremst. Trotzdem bin ich meinen unterschiedlichsten Trainern dankbar, dass sie uns immer wieder damit „getriezt“ haben. In der Praxis, sozusagen im Härtetest, wurde mir schnell klar, wieviel Orientierung und Sicherheit dieses Modell gibt. Insofern stimme ich Dir, Milan, voll zu, dass es gut ist als Neuling sich die Schritte immer wieder klar zu machen.
    Ich muss zugeben, dass ich mich heute bei meinen Mediationen nicht mehr immer an die einzelnen Phasen halte. Oft arbeite ich intuitiv voller Vertrauen auf mein Bauchgefühl. Aber falls das unklar ist, habe ich zumindest immer einen „Plan B“.
    Grüße von Frauke

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert