Ich liebe Rätsel. Und ich nutze sie auch immer wieder gerne im Rahmen unserer Mediationsausbildungen. Besonders in der Lösungsphase (4. Phase), wenn es darum geht, Ideen und Optionen zu generieren, ist Kreativität gefragt. Und die lässt sich sehr gut mit Rätseln trainieren. Das Rätsellösen erfordert, dass wir aus eingefahrenen Denkmustern heraustreten. Sie bieten uns eine gute Möglichkeit, unser innovatives Denken zu trainieren.
Viele Rätsel scheinen uns unlösbar, weil wir bestimmte Dinge nicht sehen, sie „falsch“ (hinsichtlich der Lösung) interpretieren oder auch manchmal Dinge „halluzinieren“, d.h. etwas sehen oder unterstellen, was gar nicht da ist. So sind wir in Denkmustern oder „Denkzirkeln“ gefangen, und die Lösung liegt jenseits der Grenze.
Oft schaffen wir es mit Tüfteln und Experimentieren dann doch noch irgendwann das Rätsel zu lösen. Dann freuen wir uns – und meistens hat es sich damit. Schade. Denn wenn wir (nur) so vorgehen, vergeben wir eine große Lern- und Erkenntnischance. Wir können viel über uns und unsere Art, die Welt zu sehen, lernen, wenn wir unsere Grenzen, Blockaden und Muster bewusst wahrnehmen.
Also: Der erste Schritt beruht dann darin, die einengenden Muster zu erkennen. Der zweite, sie zu überwinden.
In unseren Ausbildungen geben wir unseren Trainees Gelegenheit, in Zweiergruppen einen „Rätselparcour“ zu durchlaufen. Dabei kommt es öfter vor, dass eineR der beiden die Lösung eines Rätsels schon kennt. In diesem Fall geht es darum, der Versuchung zu widerstehen, mit seinem Wissen zu brillieren und einfach die Lösung dem/der PartnerIn zu verraten. Stattdessen gilt es ein neues „Rätsel“ zu lösen: Was sehe ich, das sie nicht sieht? Was ist das einengende Denkmuster der Partnerin, das verhindert, dass sie die Lösung erkennt? Und: welche Frage braucht sie, um diese Grenze bzw. Denkstruktur zu überwinden?
Diese „Zusatzaufgabe“ können wir auch nutzen, wenn wir Rätsel – z.B. wie hier im Blog – alleine lösen. Können wir ein Rätsel nicht lösen, können wir uns fragen, welche (potentiell einengenden) Annahmen, Normen oder Regeln wir gerade zu Grunde legen und welche wir vielleicht zur Disposition stellen können (müssen?!).
Ähnlich können wir vorgehen, wenn wir ein Rätsel gelöst haben. Wir können überlegen, warum wir nicht sofort auf die Lösung gekommen sind. Welches Denkmuster hielt uns gefangen? Welche Hürde mussten wir überwinden? Lassen sich die alte und die neue Sichtweise verallgemeinern?
Ein Musterbeispiel hierfür ist das recht bekannte – und für diesen Zweck häufig heran gezogene – Rätsel der 9 Punkte, die mit 4 Geraden verbunden werden sollen, ohne den Stift abzusetzen. Bestimmte Grundannahmen, die jedoch nicht als Regeln genannt werden, verhindern die Lösung. Lassen wir diese Begrenzungen los, wird die Lösung recht einfach.
Was hat das nun alles mit Mediation zu tun?
Konfliktparteien geht es oft ähnlich: Auf der Sachebene stehen sie oft vor einem „Rätsel“: Lassen sich die Bedürfnisse von A mit denen von B unter einen Hut zu bringen? (win-win) Wird dies verneint, geht der Kampf los, wer sich mit seinen Interessen durchsetzt.
Erschwert wird dies noch durch den Stress, den Konflikte üblicherweise mit sich bringen. Er verengt unsere Wahrnehmung, wir bekommen den sogenannten Tunnelblick und blenden viele Lösungsideen und Optionen aus. Daher ist ein wesentlicher Schritt, bevor es ans „Lösen“ geht (4. Phase!), für Entspannung auf der Beziehungsebene zu sorgen. Gemäß der These: „Je besser die Beziehungsebene geklärt ist, desto leichter fällt die Lösung auf der Sachebene.“
Wären wir in einer klassischen Beratungssituation, könnte unsere Aufgabe darin bestehen, von außen neue Informationen und Lösungen einzubringen. Nicht so in der Mediation. Hier besteht neben dem konkreten Fall, den wir „lösen“ wollen – nach meiner Auffassung von Mediation auch unsere Aufgabe darin, die allgemeine Konfliktlösungskompetenz der Parteien zu stärken. Und das tun wir eben nicht, indem wir ihnen „die Lösung verraten“, sondern indem wir ihnen helfen, einengende Denk- und Verhaltensmuster zu erkennen und zu überwinden.
Wenn die 3. Phase (Konfliktexploration / Vertiefungsphase) gut läuft, verstehen die Parteien einander besser und – vor allem – sie fühlen sich verstanden. Die damit verbundene Entspannung löst den Tunnelblick und auf einmal werden Optionen wahrgenommen, die vielleicht schon lange da waren, aber nicht gesehen wurden. „Wie konnten wir nur so blind sein?!“ lautet dann die Verwunderung, mit der auf die heiße Phase des gegeneinander Kämpfens zurück geschaut wird.
Was wir mit Rätseln noch so lernen können:
- beim Lösen mancher Rätsel hilft uns der Perspektivenwechsel (s. Manager-Rätsel)
- manchmal geht es darum, (andere) Strukturen zu erkennen: Der feindliche Spion
- viele verschiedene Optionen zu generieren (Zwei Affen)
- ein zu schnelles „Verstehen“ wieder in Frage zu stellen (schrumpfende Kaffeetasse)
- Konzentration, logisches Denken und Umgang mit ‚Wenn-dann‘-Korrelationen (Sudokus)
„Geht nicht“ gibt’s nicht
In unseren Ausbildungen konfrontieren wir unsere Trainees schon mal mit Übungen oder Aufgaben, die unlösbar scheinen. Die Teilnehmenden probieren oft eine Weile und geben dann auf – manchmal mit den Worten „Das geht nicht!“. Umso größer ist die Verblüffung dann, wenn es doch eine – oft überraschend einfache – Lösung gibt.
Ein Fazit daraus: Sage nie „Das geht nicht!“ (vor allem nicht bei Konflikten und in der Mediation!). Sage lieber „Gut möglich, dass es funktioniert – aber im Moment sehe ich noch nicht, wie.“