Der serbische Präsident Tomislav Nikolic hat sich also für das Massaker von Srebrenica entschuldigt: „Ich entschuldige mich für alle Verbrechen, die im Namen unseres Staates und unseres Volkes begangen wurden“, sagte er im bosnischen Fernsehn.
(Hintergrund ist der Völkermord an etwas 8000 muslimische Jungen und Männer 1995 in der damaligen UN-Schutzzone Srebrenica)
Aha – so einfach geht das mit den Entschuldigungen also?
OK – nehmen wir an, ich habe mein Konto überzogen und stehe jetzt mit 3000 € bei meiner Bank in der Kreide. Da gehe ich also einfach hin, sage „Hiermit entschuldige ich mich!“ und wir sind quitt? Super!
Wahrscheinlich funktioniert das auch, wenn ich meiner Kollegin in ihrer Abwesenheit das schöne neue Smartphone geklaut habe. Ein ehrliches „Entschuldigung!“, und damit Schwamm drüber.
Wer damit nicht zufrieden ist – wie kleinlich! Ich habe mich doch entschuldigt. Da muss doch jetzt mal gut sein mit den Vorwürfen.
So funktioniert das nicht. Zumindest nicht in der Mediation. Wenn ich mich entschuldigen will, gehe ich ja davon aus, in der Schuld von jemandem zu stehen. Wenn ich z.B. ein Unrecht getan habe, kann ich um Entschuldigung bitten. Und dann abwarten, ob und unter welchen Bedingungen mir diese Schuld erlassen wird. (Meine Bank wird sicher zusätzlich zu den 3000€ noch Zinsen verlangen, bevor sie sagt, wir sind wieder quitt.)
Aber jenseits der Bankgeschäfte spielt bei zwischenmenschlichen ‚Schuldsituationen‘ die Beziehungsebene eine wichtige Rolle (und von einem Schulderleben gehe ich aus, wenn jemand „Entschuldigung!“ sagt). Wenn ich einer Person etwas gegen ihren Willen angetan habe, ich habe sie verletzt oder gekränkt, etwas weggenommen oder beschädigt, dann ist dadurch die Machtebene aus der Balance geraten. Es ist ein Dominanzverhalten, damit stelle ich mich über die andere Person. Und jenseits der inhaltlichen Wiedergutmachung (Schadensersatz, Rückzahlung, etc), muss die Machtbeziehung wieder ins Gleichgewicht gebracht werden. Wenn eine Wippe in Balance oder ein ausschlagendes Pendel wieder zur Ruhe kommen soll, wird es erst einmal einen Ausschlag in die Gegenrichtung geben (müssen). D.h. war ich vorher in der dominanten Position, werde ich mich im Versöhnungs- und Wiedergutmachungsprozess bewusst und freiwillig – zeitweise – in die untergeordnete Position begeben. Indem ich um Entschuldigung bitte(!), mache ich mich abhängig. Denn dieser Bitte kann entsprochen werden oder auch nicht. Das liegt in der Entscheidungsmacht der anderen. Das Gewähren einer Entschuldigung kann an Bedingungen geknüpft werden oder sie kann mir geschenkt werden. Aber jetzt bin ich für einen Moment in der „unteren“ Position. Wenn die soziale Beziehung eine Rolle spielt, ist diese Phase wichtig. Für beide Seiten.
Im Täter-Opfer-Ausgleich ist dieser Moment heilsam für das Opfer: Die Person erlebt, wie sie wieder Wirkmacht erlangt. Es ist ein Empowerment-Prozess.
Und diese Position ist auch eine wichtige Erfahrung für Täter oder Täterin: der Perspektivenwechsel, das Erleben von Unsicherheit und Abhängigkeit. Im extremen Fall sogar die Erfahrung, dem Wohlwollen der anderen Seite ausgeliefert zu sein. (Darum machen wir das so ungern und sagen lieber „‚Tschuldigung, Schwamm drüber!“)
Am Ende steht dann die Wiedergutmachung und auf der anderen Seite die Bereitschaft zu Vergeben, um sich dann wieder auf Augenhöhe zu begegnen.
Im Alltag können wir das oft – informell – zu zweit miteinander wieder hinbekommen. Bei größeren Verletzungen oder wiederholten Kränkungen kann es hilfreich sein, sich von einer dritten Partei in diesem Prozess unterstützen zu lassen.
Wichtig ist in jedem Fall gut zu spüren, ob die Balance für beide Seiten tatsächlich wieder hergestellt ist.
Wenn das Wort „Entschuldigung“ mehr sein soll als eine Floskel, dann sollte es der Auftakt eines Dialogs sein und kein Monolog oder gar ein Diktat.
Insofern könnte die „Entschuldigung“ des serbische Präsident Tomislav Nikolic eher als Beginn eines notwendigen Versöhnungsprozesses gesehen werden. Es sei den Menschen in Bosnien und Serbien gewünscht, dass dieser Prozess nicht nur von wohlwollenden, sondern auch von kompetenten Menschen begleitet wird, die um die Dynamiken von Schuld, Vergebung und Versöhnung wissen.
Klingt interessant, so habe ich das noch nie gesehen. Aber es stimmt, ich hatte immer ein blödes Gefühl dabei, wenn jemand ‚tschuldigung‘ sagt und damit hatte es sich. Werde in Zukunft darauf achten, dass ich das nicht selber so mache.
Aber was macht man mit Leuten, die einem echt weh getan haben? Denen will ich es ja auch nicht jahrlang nachtragen.
???
target="_blank" Hallo Randy,
ja, nachtragend zu sein, kann ganz schön anstrengen: Was ich anderen nach-trage, muss ich ja erst mal schleppen.
Verletzungen oder Kränkungen bedürfen der „Heilung“. Diese Heilung kann man aktiv fördern, das braucht aber Engagement.
Wenn jemand mich verletzt hat und er oder sie bittet um Entschuldigung, kann ich überlegen oder nachspüren, was mir gut täte und was für mich „heilsam“ wäre. Ich kann meine Entschuldigung ja an Bedingungen knüpfen. Wenn Du mir z.B. etwas kaputt gemacht hast, kann ich ja auch sagen, „ok, ich entschuldige das bzw. ich verzeihe Dir, wenn Du es wieder gut machst. Wenn Du es reparierst oder mir einen Ersatz besorgst.“
Wenn der Schaden nicht materieller Art ist, z.B. wenn Vertrauen zerstört wurde, weil Du ein anvertrautes Geheimnis verraten hast, dann kann ich mir überlegen, was ich brauche, damit das Vertrauen wieder wächst. „Vertrauensbildende Maßnahmen“ können sich manchmal auch über eine längere Zeit erstrecken. Ich stelle mir manchmal vor, dass Vertrauen eine Ähnlichkeit hat mit einem Kartenhaus. Es braucht Achtsamkeit und Zeit, um es aufzubauen. In einem kleinen Moment der Unachtsamkeit kann es zerstört werden und dann braucht es wieder viel Mühe, um es wieder herzustellen.
Für mich ist schon viel gewonnen, wenn ich merke, dass es der anderen Person wirklich leid tut, wenn sie bereit ist, sich mit ihrem Handeln und der Wirkung auf mich auseinanderzusetzen und er/sie aktiv etwas tun möchte, um es wieder gut zu machen.
Einleuchtend!
Hi, ich finde auch, dass ich mich nicht selbst entschuldigen kann, sondern darum bitten muss. Das ist nicht nur ein Akt der Höflichkeit, sondern ganz logisch in zwischenmenschlichen Beziehungen. So wie die andere Person nicht die Wahl hatte, ob sie verletzt oder geschädigt wurde, so bin ich jetzt auch von ihr abhängig.
Leider ist allerdings auch das „ich bitte um Entschuldigung“ nur noch eine Phrase, die nicht ernst gemeint ist. Wer erwartet darauf den ernsthaft noch eine Antwort. Es wäre spannend zu sehen, was passiert, wenn man öfter mal sagt „Nein, ich entschuldige Dich nicht!“.
Letztes Jahr habe ich eine Freundin sehr verletzt, weil ich ein Geheimnis, das sie mir anvertraut hatte, in unserer Clique weiter erzählt habe. Nachher tat es mir sehr leid, weil ich merkte, wie sehr ich sie enttäuscht hatte. Sie hat mir dann die Freundschaft gekündigt. Wochenlang habe ich mich schlecht gefühlt. Ich glaube, ich habe mich noch scheiße gefühlt, als sie schon gar nicht mehr daran dachte. Sie fehlte mir und mein Verrat hat an meiner Seele genagt. Irgendwann habe ich ihr dann einen Brief geschrieben und sie gefragt, was ich tun könnte, damit sie mir vergibt. Kurz darauf hat sie mich besucht und es war alles wieder gut. Für sie war nur wichtig, dass ich wieder einen Schritt auf sie zugemacht hatte. Ich war bereit viel mehr zu tun, aber der Brief hat unsere Freundschaft gerettet.
Gestern hat Grube von der DB sich „entschuldigt“ für die Katastrophe in Eschede vor 15 Jahren. Der hat es also wohl auch nicht verstanden. Soll ich ihn mal bei euch vorbei schicken?