„Doch das war nicht das eigentlich Unglaubliche. Das wahrhaft Unfaßbare war die Diskussion, wie sie genannt wurde. Eingegossen und eingeschlossen in den grauen Bleirahmen der britischen Höflichkeitsfloskeln, redeten die Leute perfekt aneinander vorbei. Pausenlos sagten sie, daß sie einander verstünden, einander antworteten. Doch es war nicht so. Niemand, kein einziger der Diskutanten, zeigte das geringste Anzeichen eines Sinneswandels angesichts der vorgebrachten Gründe. Und plötzlich, mit einem Erschrecken, das ich sogar im Leib spürte, wurde mir klar: So ist es immer. Einem anderen etwas sagen: Wie kann man erwarten, daß es etwas bewirkt? Der Strom der Gedanken, Bilder und Gefühle, der jederzeit durch uns hindurchfließt, er hat eine solche Wucht, dieser reißende Strom, daß es ein Wunder wäre, wenn er nicht alle Worte, die jemand anderes zu uns sagt, einfach wegschwemmte und dem Vergessen übereignete, wenn sie nicht zufällig, ganz und gar zufällig, zu den eigenen Worten passen. Geht es mir anders?, dachte ich. Habe ich je einem anderen wirklich zugehört? Ihn mit seinen Worten in mich hineingelassen, so daß mein innerer Strom umgeleitet worden wäre?“
Auszug aus: ‚Nachtzug nach Lissabon‚ von Pascal Mercier läuft derzeit in den Kinos, das Buch ist schon seit einigen Jahren ein Bestseller.
(Gedanken dazu im Kommentar)
Ich stimme zwar nicht damit überein, dass das (alleinige?) Anzeichen des Verstehens der eigene Sinneswandel sein muss, aber was Mercier mit der selbstkritischen Stimme des Poeten Amadeu de Prado deutlich in Frage stellt, das berührt mich sehr: „Habe ich je einem anderen wirklich zugehört?“ Wagen wir es, uns von den Worten des anderen wirklich berühren zu lassen, auf die Gefahr hin, dass „der eigene innere Strom umgeleitet wird“?
In der Mediation wünschen wir uns diese Berührung und die Bereitschaft, sich berühren zu lassen. Der erste Schritt besteht darin, zuzuhören und zu verstehen. Jedoch auch nicht zu schnell zu verstehen. Das erfordert neben der Fähigkeit zur professionellen Distanz auch die Fährigkeit und Bereitschaft, uns berühren zu lassen. Weiter arbeiten wir darauf hin, dass die Konfliktparteien einander zuhören, sich verstehen wollen und verstehen können und – sich verstanden fühlen.
Wobei verstehen eben nicht gleich gesetzt werden sollte mit einverstanden sein. Diese Unterscheidung halte ich für hilfreich. Diese beiden Dinge explizit zu unterscheiden erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Konfliktparteien sich erlauben zumindest zu verstehen, auch wo sie nicht einverstanden sind. Daher sollten wir mit rhetorischen Fragen wie „Können Sie das nicht verstehen?!“ vorsichtig sein, um diese beiden Prozesse ‚verstehen‘ und ‚einverstanden sein‘ nicht zu vermischen.
Zuhören, wirklich zuhören. So schwierig und gewagt dieses Unterfangen auch sein mag – damit können wir vielleicht den besagten „reißenden Strom der Gedanken, Bilder und Gefühle, der jederzeit durch uns hindurch fließt“, etwas beruhigen, sodass …
Die meisten Menschen glauben, dass sie gut zuhören, aber die wenigsten können das wirklich. Es geht nicht nur darum die Worte zu verstehen, sondern für einen Moment innerlich zu schweigen. Wer kann das schon. Nur wenn wir innerlich zu verstummen mögen, können wir dem anderen einen Raum bieten. Stattdessen bewerten und kommentieren wir im Kopf schon, wir planen wir unsere Antworten. Wie schade.
Kennst Du die Geschichte Momo? Momo konnte so zuhören, dass „die Menschen von selbst auf kluge Gedanken kamen“.
Zuhören ist eine Kunst.
Eine Kunst die weder gelehrt noch gepflegt wird.
Wie würde die Welt wohl aussehen, wenn wir den Kindern das Staunen und das Lauschen beibringen würden.
Hallo Fee-d’ora (schöner Name!)
ich glaube, dass Kinder durchaus in der Lage sind zu staunen und zu lauschen, diese Fähigkeit wird jedoch Stück für Stück zerstört. Man nennt es „Erziehung“ und „Erwachsenwerden“. Die Krone der Schöpfung sind dann monologisierende Politiker, die, wenn man sich talkshows anschaut, noch nicht einmal in der Lage sind, auf die Fragen zu hören und diese zu beantworten. Stattdessen spulen sie ihre eintrainierten Parolen ab, egal ob es passt oder nicht.
Ähh, Fee-d’ora – was hast Du nochmal gesagt? Habe ich dir überhaupt geantwortet? 😉
Olá, U.K.
Hallo,
ihr habt beide recht und vielleicht hast du (U.K.) sogar feed’ora zugehört. 🙂
Aber warum fällt uns das Zuhören so schwer? Ist es, weil wir auch gesehen und gehört werden wollen? Ist es, weil ich denken, dass das, was ich zu sagen habe doch wichtig – wichtiger – am wichtigsten ist? Wäre es nicht ein Verbrechen, der Welt diese großartige Weisheit vorzuenthalten? (Vorsicht Ironie!) Wahrscheinlich ist es die maßlose Selbstüberschätzung, die uns hindert für einen Moment dem anderen die Bühne zu lassen, die ich eigentlich für mich haben möchte.
œ U.K.: du hast die talkshows erwähnt. Es sind eben TALKshows und keine LISTENshows. Ich habe schon öfter üble Kritiken, vor allem über Frauen gelesen, die in Talkshows waren und „sich nicht gut präsentiert“ haben. Man meint, sie wären untergegangen, weil sie sich nicht ebenbürtig in den Vordergrund gedrängt haben. Wenn man nach solch einer Rederunde die Beteiligten einmal fragen würde, was von den anderen dort gesprochen wurde – wahrscheinlich könnten die, die sich nicht ständig ans Mikrofon gedrängt haben, das noch am besten wiedergeben. Du hast Recht: viele Politiker machen Retorik- und Redetrainings. Habe noch nie von einem gehört, der ein Zuhör-Training gemacht hat.
ich lese und lausche …
gar nicht so einfach, da das hier ja zum kommentieren gedacht ist …
(ich denke, dass von mir erwartet wird, dass hier jetzt ein posting kommt.)
wat nu?
ach, lauscht doch lieber mal schön in euch rein …