Empathie und Mitgefühl

Empathie und Mitgefühl sind zwei Begriffe, die oft synonym verwendet werden, aber bei genauerer Betrachtung wesentliche Unterschiede aufweisen. Beide Konzepte spielen eine bedeutende Rolle in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen, doch was genau unterscheidet sie? In diesem Artikel beleuchten wir die Unterschiede zwischen Empathie und Mitgefühl und erklären, warum beide für die Selbstfürsorge und für ein gelingendes Miteinander wichtig sind.

Was ist Empathie?

Empathie ist die Fähigkeit, die Emotionen, Gedanken und Perspektiven anderer Menschen nachzuvollziehen. Sie ermöglicht es uns, uns in die Gefühlswelt anderer hineinzuversetzen, fast so, als wären wir selbst in deren Situation. Empathie kann sowohl emotional sein, wenn wir die Freude oder das Leid einer anderen Person mitempfinden, als auch kognitiv, wenn wir versuchen, die Gedanken und Perspektiven des anderen zu verstehen. Ein klassisches Beispiel für Empathie wäre, wenn man eine traurige Person sieht und selbst Traurigkeit empfindet, weil man die Emotionen dieser Person nachvollziehen kann.

Aus neurowissenschaftlicher Perspektive ist Empathie mit spezifischen Hirnregionen verbunden. Besonders die Spiegelneuronen im prämotorischen Kortex und der inferioren Parietallappen sind hierbei von Bedeutung. Diese Neuronen sind aktiv, wenn wir Situationen, Handlungen oder Emotionen anderer Menschen beobachten, und ermöglichen es uns, deren emotionale Zustände zu spiegeln. Darüber hinaus ist der mediale präfrontale Kortex (mPFC) involviert, insbesondere bei der kognitiven Empathie, bei der es darum geht, die Perspektive des anderen zu verstehen, z.B. beim Schachspiel. Das Anterior Cingulate Cortex (ACC) und die Inselrinde sind ebenfalls beteiligt, insbesondere bei der emotionalen Empathie, die es uns ermöglicht, mit dem Schmerz oder der Freude anderer mitzuschwingen.

Was ist Mitgefühl?

Mitgefühl hingegen geht einen Schritt weiter. Es geht nicht nur darum, die Gefühle einer anderen Person zu verstehen, sondern auch darum, den Wunsch zu entwickeln, dieser Person zu helfen oder ihr Leid zu lindern. Während Empathie eine Art Spiegelung der Gefühle eines anderen sein kann, beinhaltet Mitgefühl eine aktive Reaktion auf diese Gefühle. Es löst in uns das Bedürfnis aus, etwas zu tun, um die Situation des anderen zu verbessern. Ein Beispiel für Mitgefühl wäre, wenn man nicht nur das Leid einer Freundin erkennt, sondern ihr aktiv Unterstützung anbietet, um ihre Situation zu verbessern.

Neurowissenschaftlich betrachtet ist Mitgefühl in anderen Hirnregionen verankert als Empathie. Die Forschung zeigt, dass der Übergang von Empathie zu Mitgefühl durch Aktivität im ventromedialen präfrontalen Kortex (vmPFC) und im Nucleus accumbens geprägt ist, die beide mit positiven Gefühlen und Belohnung assoziiert sind. Während Empathie oft eine Aktivierung der Schmerznetzwerke des Gehirns verursacht, was zu einer emotionalen Belastung führen kann, aktiviert Mitgefühl eher Regionen, die mit sozialer Bindung und Fürsorge verbunden sind, wie die Periaquäduktale Grau-Substanz (PAG). Diese Region ist wichtig für das Gefühl von Fürsorge und den Antrieb zu handeln.

Die Unterschiede zwischen Empathie und Mitgefühl

Der zentrale Unterschied zwischen Empathie und Mitgefühl liegt im Handeln. Empathie bedeutet, in Resonanz zu gehen, mit zu schwingen und im besten Fall zu spüren, was die andere Person fühlt. Mitgefühl hingegen bedeutet, zu handeln oder zumindet einen Handlungsimpuls zur Verbesserung einer Situation zu haben. Empathie ist die emotionale Resonanz mit einem anderen Menschen – wir verstehen dessen Gefühle und können sie nachempfinden. Mitgefühl hingegen geht darüber hinaus und enthält einen Aspekt der Fürsorge sowie den Drang, aktiv zu helfen, um das Leid zu lindern oder Freude zu bereiten. Empathie hilft uns also dabei, zu verstehen, wie sich andere fühlen, während Mitgefühl uns dazu motiviert, basierend auf diesem Verständnis zu handeln.

Interessanterweise zeigt die Forschung, dass Empathie ohne Mitgefühl belastend sein kann. Wer kontinuierlich die negativen Gefühle anderer Menschen aufnimmt, kann leicht emotional überfordert werden. Mitgefühl hingegen ist weniger belastend, weil es aktiver ist und ein Gefühl der Wirksamkeit und Verbundenheit mit sich bringt. Die Arbeiten der Neurowissenschaftlerin Tania Singer, insbesondere ihre Studien zu Empathie und Mitgefühlstraining, zeigen, dass gezielte Übungen zum Mitgefühl helfen können, die emotionalen Belastungen der Empathie zu reduzieren und zu mehr innerer Stabilität zu führen. Singer betont, dass Mitgefühl zu einer positiven emotionalen Erfahrung führt, die unser Wohlbefinden fördert. Daher ist es wichtig, beide Konzepte in Balance zu halten: Fürsorge und Verständnis zu zeigen, während wir uns unserer eigenen Grenzen bewusst bleiben.

Weitere Informationen hierzu finden sich in der Veröffentlichung: Singer, T., & Klimecki, O. M. (2014). ‚Empathy and Compassion‘. Current Biology, 24(18), R875-R878.

Warum sind beide Qualitäten wichtig?

Empathie und Mitgefühl sind unverzichtbar für ein gelingendes menschliches Miteinander. Empathie ermöglicht uns, andere Menschen wirklich zu verstehen und tiefere Verbindungen aufzubauen. Sie schafft Nähe, Vertrautheit und Verbundenheit, indem wir uns gegenseitig in unserem Menschsein erkennen. Mitgefühl hingegen ermöglicht es uns, für andere da zu sein, ohne uns selbst dabei zu verlieren oder zu überfordern. Es ist der Antrieb, anderen zu helfen, der unsere Gemeinschaft stärkt.

Auch auf gesellschaftspolitischer Ebene sind Empathie und Mitgefühl heute wichtiger denn je. In einer Welt, die von Spannungen, sozialen Ungerechtigkeiten und kriegerischen Auseinandersetzungen geprägt ist, ist die Fähigkeit, die Perspektive des anderen einzunehmen und Fürsorge zu entwickeln, von entscheidender Bedeutung. Empathie hilft uns, die Beweggründe und Gefühle von Menschen in schwierigen Situationen zu verstehen, sei es bei Geflüchteten, marginalisierten Gruppen oder in internationalen Konflikten. Sie schafft die Grundlage für Dialog und gegenseitiges Verständnis, was notwendig ist, um Konflikte zu lösen und nachhaltigen Frieden zu fördern.

Mitgefühl trägt dazu bei, aus Empathie konkrete Handlungen abzuleiten, um das Leid anderer zu lindern. Politische Entscheidungen, die auf Mitgefühl basieren, können die Lebensqualität vieler verbessern, etwa durch soziale Unterstützungssysteme, humanitäre Hilfe oder Friedensinitiativen. Tania Singer betont, dass Mitgefühl nicht nur das Wohlbefinden des Einzelnen steigert, sondern auch das gesellschaftliche Klima positiv beeinflussen kann, indem es Solidarität und Zusammenhalt stärkt. In einer polarisierten Welt, in der das Auseinanderdriften verschiedener gesellschaftlicher Gruppen immer mehr zunimmt, brauchen wir Mitgefühl, um Brücken zu bauen und uns unserer gemeinsamen Menschlichkeit zu besinnen.

Beide Konzepte sind daher zentrale Bestandteile sozialer Intelligenz und menschlicher Interaktion. Sie bilden das Fundament für ein respektvolles und unterstützendes Miteinander – sei es in Freundschaften, Beziehungen, innerhalb der Gesellschaft oder auf globaler Ebene.

Literaturtipp

Im Netz gibt es ein frei verfügbares eBook zum Thema ‘Empathie & Mitgefühl‘ auf der Webseite Compassion-training.org von Tania Singer und Matthias Bolz (Hrsg.): Mitgefühl. In Alltag und Forschung.
Das Buch beschreibt verschiedene Mitgefühlspraktiken aus unterschiedlichsten Perspektiven wie zum Beispiel Erfahrungen in Schulen, in der Psychotherapie, im Coaching oder im Pflegebereich. Es werden zugrunde liegende theoretische Ansätze u.a. aus dem Buddhismus, der Psychologie oder aus evolutionärer Sicht vorgestellt. Die neuesten wissenschaftlichen Forschungsergebnisse werden präsentiert und säkulare Trainingsprogramme von Mitgefühl dargestellt.

Ein ausführlicher Vortrag von Tania Singer ist zudem auf YT einsehbar:
Tania Singer: Die Neurobiologie von Empathie und Mitgefühl – 10. Empathie-Konferenz

(Artikel ursprünglich vom 17. Dez. 2021, aktualisiert im Oktober 2024)

1 Kommentare zu “Empathie und Mitgefühl

  1. mi lan

    Der Artikel, ursprünglich vom 17. Dezember 2021, wurde von mir im Oktober 2024 überarbeitet und aktualisiert.
    Lieben Gruß, milan

    Antworten

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